Jan Šinágl angažovaný občan, nezávislý publicista

   

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Citát dne

Karel Havlíček Borovský
26. června r. 1850

KOMUNISMUS znamená v pravém a úplném smyslu bludné učení, že nikdo nemá míti žádné jmění, nýbrž, aby všechno bylo společné, a každý dostával jenom část zaslouženou a potřebnou k jeho výživě. Bez všelikých důkazů a výkladů vidí tedy hned na první pohled každý, že takové učení jest nanejvýš bláznovské, a že se mohlo jen vyrojiti z hlav několika pomatených lidí, kteří by vždy z člověka chtěli učiniti něco buď lepšího neb horšího, ale vždy něco jiného než je člověk.

 


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Jan Šinágl,
předseda SODALES SOLONIS o.s.

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Schleiter Pietr...Die Ewigkeitsklausel im Artikel 79 unseres Grundgesetzes schreibt einige grundlegende Staatsprinzipien wie Demokratie, Gewaltenteilung oder das Bundesstaatsprinzip fest – die freiheitliche demokratische Grundordnung für sich genommen allerdings nicht. Als Richter muss und darf ich mich zu dieser Grundordnung bekennen. Gerade sie aber ist bereits jetzt in Gefahr. Wenn sie weiter erodieren würde, hätte ich ein großes Problem. Dann könnte ich mir vorstellen auszuwandern.

***

WELT: Sie haben das Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte gegründet. Was ist das?

Schleiter: Als die Verfassungsbeschwerde bekannt wurde, hat mich ein Kollege angeschrieben, ein gestandener Verwaltungsrichter. Er könne fast jedes Wort darin unterschreiben. Wir haben dann zusammen ein Netzwerk gegründet, eine Webseite hochgefahren, und dann kamen mehrere Hundert Zuschriften, darunter Richter, Staatsanwälte, Anwälte, Ärzte, Statistiker, Ministerialbeamte und viele andere Menschen. Sie haben auch ihre Begeisterung ausgedrückt und teils Unterstützung anboten. Ein 101-Jähriger schrieb uns: Dass ich das noch erleben darf, dass Richter auch einmal etwas gegen ihren Arbeitgeber sagen! Wir wollen uns jetzt als Verein gründen, unser erstes Ziel ist es, objektiv, tatsachenbasiert und nüchtern bei der juristischen Bewältigung der Krise zu helfen. Im Anschluss geht es an die Diskussion größerer Probleme der Justiz als dritter Staatsgewalt.

***

Verstößt die Corona-Politik gegen das Grundgesetz? Um das zu klären, hat der Berliner Richter Pieter Schleiter Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht. Ein Gespräch über den Parlamentsvorbehalt – und die dubiose Rolle der Bundeskanzlerin.

Pieter Schleiter ist Strafrichter am Landgericht Berlin. Seine Amtsstube ist spartanisch: im Regal Kommentarbände, auf dem Tisch eine einsame Pflanze. Der promovierte Jurist, 43 Jahre alt, hat privat Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesnormen und Landesnormen zur Pandemiebekämpfung eingereicht. Außerdem ist er Mitgründer des Netzwerks Kritische Richter und Staatsanwälte.

WELT: Herr Schleiter, Sie halten die deutsche Pandemiepolitik für verfassungswidrig. Unterstellen Sie den handelnden Personen Absicht?

Pieter Schleiter: Wenn ein Politiker es für möglich hält, dass er gegen die Verfassung verstößt, aber trotzdem handelt, weil es ihm wichtiger ist, ein anderes Ziel zu verfolgen, dann ist das vorsätzlich im juristischen Sinne. Das gilt ähnlich für einen Raser, der eine Tötung zwar nicht beabsichtigt, aber billigend in Kauf nimmt – und zwar auch dann, wenn er es nur für möglich hält, dass durch sein Handeln jemand ums Leben kommt. Überträgt man die strafrechtlichen Grundsätze des sogenannten Eventualvorsatzes und des Unrechtsbewusstseins, die Paragrafen 16 und 17 StGB, auf die Politik, dann kann man zumindest die Frage stellen, ob hier ein vorsätzlicher Verstoß gegen den Amtseid vorliegt, den sowohl Bundespräsident als auch Bundeskanzlerin und Bundesminister nach Artikel 56 und 64 des Grundgesetzes geleistet haben: „Ich schwöre, dass ich … das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen … werde. So wahr mir Gott helfe.“

WELT: Es gibt viele Menschen, die sich mit den Einschränkungen der Pandemie arrangieren. Sie nicht. Warum?

Schleiter: Ich halte mich an die Regeln, auch wenn sie meiner Ansicht nach letztlich nicht wirksam sind. Nach meiner Auffassung handelt es sich um ein rechtliches Nullum. Aber ich bin Richter und finde auch, dass es einen Eigenwert hat, Gesetze zu befolgen. Wenn alle sagen würden, ich halte das alles für null und nichtig, hätten wir Anarchie.

WELT: Man muss sich selbst dann an Gesetze halten, wenn sie nicht verfassungsgemäß sind?

Schleiter: Das, was uns jetzt auferlegt ist, befindet sich noch nicht in dem Bereich, wo eine Art Widerstandsrecht gegeben wäre. Wenn die Rechtslage in zwei oder drei Jahren noch so wäre wie jetzt, müsste man sich neue Gedanken machen. Aber ich hoffe, dass die Rechtsprechung korrigierend eingreift. Unabhängig davon würde ich durch Nichtbeachtung der Regeln eine Menge Bußgeldverfahren provozieren, die ich gar nicht bezahlen könnte. Und mein Dienstherr würde einschreiten. Ich bringe das also lieber, wie es sich im Rechtsstaat gehört, zur Vorlage.

WELT: Schickt man eine Verfassungsbeschwerde einfach per Post nach Karlsruhe?

Schleiter: Ja. Und meine ist ja wirklich ein dicker Stapel, 190 kleingedruckte Seiten und die Anlagen nochmal 150 bis 200 Seiten. Das geht dann einfach per Postpaket ans Gericht und bekommt einen Eingangsstempel.

WELT: Die Internetseiten, die als Belege genannt werden, haben Sie ausgedruckt?

Schleiter: Die wichtigsten Quellen habe ich komplett als Anlagen ausgedruckt. Zur Arbeitserleichterung habe ich eine CD dazugelegt. So können die Richter auch direkt auf die Fundstellennachweise in der Beschwerde klicken.

WELT: Hatten Sie von Anfang an Zweifel an der Richtigkeit der Corona-Maßnahmen?

Schleiter: Ich hatte im Januar 2020 erhebliche Sorgen, nachdem ich die Bilder aus China gesehen habe – und habe einen meiner besten Freunde, der Arzt ist, gefragt, mit welchen Masken man sich schützen kann. Dann habe ich FFP2-Masken bestellt. Damals war ich vorauseilend viel vorsichtiger als die meisten und habe das sehr ernst genommen. Im ersten Lockdown fing ich an, die RKI-Bulletins zu lesen, ich war auch ein großer Fan von Christian Drosten. Ende März sagte Drosten dann, eine Maske wäre eigentlich eher eine Höflichkeitsgeste. Das kam mir seltsam vor, denn es ist ja evident, dass sie zumindest Tröpfcheninfektionen vermeiden hilft. Für mich wirkte das wie eine gefällige Aussage für die Politik, dass man Millionen von Deutschen lieber nicht raten wollte, jetzt Masken zu kaufen, weil es damals nicht genügend Masken gab.

WELT: Das klingt so, als hielten Sie Masken für sinnvoll.

Schleiter: Teilweise, in geschlossenen Räumen, ja. Draußen an der frischen Luft halte ich das für unnötig, und das sagen ja auch Aerosolforscher .

WELT: Der „Tagesspiegel“ hat Sie wegen Ihrer Verfassungsbeschwerde unter die „Pandemie- Verharmloser“ gerückt. Die Zeitung hat sogar, was journalistisch sehr ungewöhnlich ist, darüber berichtet, dass Sie einmal in der Potsdamer Fußgängerzone gegen die Maskenpflicht verstoßen hätten. Was ist da geschehen?

Schleiter: Über diesen Artikel war ich etwas irritiert. Ich sehe mich so nicht, wie ich dort beschrieben werde. Mit dem Vorfall in Potsdam verhält es sich so, dass ich im Herbst in der Abenddämmerung in einer fast menschenleeren Fußgängerzone vom Ordnungsamt, das auch noch von einem Fernsehteam und Journalisten mehrerer regionaler Zeitungen begleitet wurde, umstellt wurde. Ich trug die Maske nicht, weil mir das in der leeren Fußgängerzone sinnlos erschien und ich die gesetzliche Grundlage der Verordnung als nicht gegeben ansah, das Infektionsschutzgesetz war noch nicht einmal novelliert. Das habe ich den Vertretern des Ordnungsamts auch gesagt, während das Kamerateam mich filmte. Ich habe das wie einen Überfall empfunden.

WELT: Wann haben Sie begonnen, die Lockdown-Strategie infrage zu stellen?

Schleiter: Als die ersten Zahlen rauskamen, Anfang April, habe ich gesehen, dass zum Zeitpunkt des Lockdowns am 22. März der R-Wert schon wieder unter eins gesunken war. Ich dachte, das kann doch nicht wahr sein – und die Politik verkauft uns den Lockdown als zwingend, um die exponentielle Ausbreitung zu unterbinden. Ich habe dann alles gelesen, was´mir in die Hände kam, und versucht, die Sachen zu verstehen. Und ich fing an, erste Aufsätze und Kommentare zu lesen, juristische Sachen. Für mich war entscheidend: Wie geht die Politik mit den Tatsachen um? Wie transparent handelt sie? Wird die ganze Bandbreite von möglichen Sachverständigen abgebildet? Nur wenn man alle Seiten hört, kann man sich eine Meinung bilden.

WELT: Auch vor Gericht werden Sachverständige geladen. Welche Rolle spielen sie dort?

Schleiter: Ein Sachverständiger, der als sehr weich gilt, wird die Schuldfähigkeit des Angeklagten womöglich anders beurteilen als jemand, der als Hardliner gilt. Die Auswahl des Sachverständigen kann also das Ergebnis des Falles beeinflussen. Und in der deutschen Pandemiepolitik waren von Anfang an im Wesentlichen nur zwei Bereiche durch Berater abgedeckt, die gehört wurden und deren Votum auch ernst genommen wurde: der medizinische und der virologisch-epidemiologische. Wo waren die Soziologen, die Psychologen, die Wirtschaftswissenschaftler, die Juristen?

WELT: Gab es keine juristische Expertise?

Schleiter: Bereits am 2. April 2020 gab es ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, also des eigenen Hauses. Bei verständiger Lektüre kommt es zu dem Ergebnis, dass die damaligen Änderungen des Infektionsschutzgesetzes, welche Grundlage für weitreichende Eingriffe waren, verfassungswidrig sind. Am 9. September gab es eine Anhörung im Gesundheitsausschuss  des Bundestages, auch mit Stellungnahmen der Professoren Thorsten Kingreen, Ferdinand Wollenschläger und Michael Elicker. Kingreen und Elicker haben dezidiert dargelegt, dass verfassungswidrig ist, was gerade stattfindet. Nur Wollenschläger war wenig konkret und hat nicht kritisch Stellung bezogen. Bei der nächsten Anhörung am 12. November zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes waren dann die beiden Kritiker Kingreen und Elicker schon nicht mehr da, dafür wieder Wollenschläger.

 Bei dieser Anhörung sind auch zwei mutige Frauen aufgetreten: Andrea Kießling und die Professorin Anika Klafki. Die haben auch beide gesagt: Ja, verfassungswidrig, wie die weit überwiegende Mehrheit der insgesamt angehörten Staatsrechtler. Als es Anfang Januar in der Bund-Länder-Konferenz um die Verlängerung des harten Lockdowns ging, wurden als Sachverständige allerdings nur Mediziner, Epidemiologen und Physiker  gehört.

WELT: Was folgern Sie daraus?

Schleiter: Zumindest, dass man Fragen stellen muss: Haben die politischen Akteure sich ihre Meinung abschließend gebildet und sind nicht mehr offen für Neues? Oder ist es ihnen schlicht egal? Beides wäre bedenklich. Wir operieren ja nicht im rechtsleeren Raum. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich eine Verfassung gegeben. Und Grundrechte sind vor allem für Krisenzeiten da. Im Alltagsleben sind sie eher ein gutes Gerüst, um Feinheiten in der Rechtsprechung auszuarbeiten.

WELT: Es wurden schon alle mögliche Themen nach Karlsruhe gebracht, unter größter Aufmerksamkeit: das Kruzifix, das Kopftuch, der Rundfunkbeitrag.

Schleiter: Ja, und das hat bislang hervorragend funktioniert. Die Rechtsprechung war sogar fast übergenau in manchen Bereichen, wo dann die Einzelfallgerechtigkeit langsam zulasten der Rechtsklarheit geht. Jetzt habe ich das Gefühl, wir erleben die gegenläufige Entwicklung.Wir haben das übergeordnete Ziel des Gesundheitsschutzes, und dem wird alles untergeordnet.

WELT: Wir leben in einer Pandemie, heißt es dazu immer.

Schleiter: Aber es gibt eben nicht das Supergrundrecht Leben. 83 Millionen Menschen haben in Deutschland als Grundrechtsträger eine Vielzahl von Bedürfnissen. Diese sind durch einenganzen Kanon an Grundrechten geschützt. Diese Rechte sind auch Abwehrrechte gegenüber dem Staat. Wenn der Staat darein eingreifen möchte, muss er das immer legitimieren. Es muss eine Güterabwägung stattfinden bei widerstreitenden Grundrechtsinteressen. Ich möchte meine Familie sehen, ich möchte mein Geschäft öffnen – auch das sind Grundrechte. Die Frage, ob eine Maßnahme verfassungsgemäß ist, kann man nicht einseitig an ein oder zwei Grundrechten festmachen. Durch die Pandemiebekämpfung sind über 80 Prozent aller Grundrechte betroffen. Die müssen alle abgewogen werden, und diese Abwägung sehe ich nicht. In den Begründungen der Verordnungen steht fast immer nur, dass das Pandemiegeschehen dynamisch ist und man verhindern muss, dass sich das Virus ausbreitet. Dabei ist noch nicht einmal klar, ob die Maßnahmen wirklich dem Gesundheitsschutz dienen. Dass mit der Arbeitslosigkeit immer auch die Suizidrate steigt, dass sich fehlende Schulbildung auf die Lebenserwartung von Kindern auswirkt – auch das sind Gesichtspunkte, die man in die Waagschale werfen müsste. Erst dann kann man die Rechnung aufmachen. Der verfassungsrechtlich zwingende Ausgleich der Grundrechte untereinander kennt kein „Whatever it takes“.

WELT: Die Kanzlerin sagt immer wieder, die Maßnahmen seien verhältnismäßig, notwendig und erforderlich.

Schleiter: Wenn man den grundgesetzlichen Maßstab des Parlamentsvorbehalts anwendet, dann ist völlig klar, dass das, was wir gegenwärtig erleben, verfassungswidrig ist. In diesem Zusammenhang ist auch die mahnende Stimme von Stephan Harbarth zu sehen, dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Der sagt, dass die Parlamente stärker einbezogen Arden müssen. Das sagt er ja nicht einfach so.

WELT: Erklären Sie den Parlamentsvorbehalt.

Schleiter: Da geht es um die Wesentlichkeitslehre: Die wirklich bedeutsamen Grundrechtseingriffe müssen vom Parlament beschlossen werden, weil das Parlament das höchste Organ in unserem Staatsgebilde ist. Wir wählen das Parlament, von da aus geht die demokratische Legitimation weiter. Die zentralen Fragen müssen dem Parlament vorbehalten bleiben.

WELT: Aber das Infektionsschutzgesetz ist doch vom Bundestag verabschiedet worden, und unsere Verordnungen basieren auf dem Infektionsschutzgesetz.

Schleiter: Das reicht nicht. Die Eingriffe sind so flächendeckend und tiefgreifend, dass das nicht einfach der Verordnungsgeber regeln darf, also die Exekutive. Der ganze Prozess der Rechtsetzung ist darauf angelegt, pluralistisch zu sein. Dafür steht die Diskussion im Parlament, dafür stehen die Lesungen. Da gibt es Kritik, da gibt es Vorschläge, und dann Git es einen Referentenentwurf. Das gefundene Gesetz ist so häufig ein Kompromiss, ein Ausgleich zwischen berechtigten Interessen. Der findet momentan gar nicht statt.

WELT: Was könnte der Bundestag denn tun?

Schleiter: Denkbar wäre, dass der Bundestag oder die Länderparlamente die Regelungen komplett an sich ziehen. Denkbar – meines Erachtens aber nicht ausreichend – wäre auch, wenn der Bundestag viel detailliertere Vorgaben zur Umsetzung der einzelnen Eingriffsmaßnahmen macht. Beispielsweise könnte er sagen: Ich möchte, dass das Schließen von Schulen nur als letzte Maßnahme ergriffen wird. Oder: Freizeittätigkeiten dürfen eher untersagt werden als der Betrieb von Restaurants und Geschäften. Die konkrete Gewichtung der Grundrechte, die Abwägung, die ja ganz zentral ist, dürfen die Parlamente nicht als Blankettermächtigung dem Verordnungsgeber überlassen. Man könnte dem Bundestag und den Landtagen deshalb spiegelbildlich zum Verhalten der Exekutive ebenso einen Verstoß gegen die Verfassung vorwerfen.

WELT: Schon durch Unterlassen macht man sich schuldig?

Schleiter: Nur demjenigen kann ein Unterlassen vorgeworfen werden, der eine Handlungspflicht hat. Und ich würde argumentieren, dass alle Organe und Gremien, die verfassungsmäßig berufen sind, eine Handlungspflicht haben, Verfassungsverletzungen zu vermeiden. Insofern müsste man wahrscheinlich eine Einschreitenspflicht der Parlamente bejahen. Was gerade in Deutschland stattfindet, hat eine Dimension, die man sich eigentlich nur in einer Notstandsverfassung vorstellen kann.

WELT: Was ist eine Notstandsverfassung?

Schleiter: Es gibt Vorschriften im Grundgesetz für verfassungsrechtliche Notstände. Im Kriegsfall etwa greifen Abläufe, die ein erleichtertes Regieren durch erleichterte Gesetzgebung ermöglichen. Momentan kommen wir unter Umgehung dieser Vorschriften zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Rechtswirklichkeit ähnelt der einer Notstandsverfassung, aber unter Unterlaufen des gesetzlichen Gefüges.

WELT: Steht nicht die regelmäßig tagende Ministerpräsidentenkonferenz für Föderalismus, Demokratie und Gewaltenteilung?

Schleiter: Sie steht mittlerweile eher für ein zentralistisches Regieren. Der maßgebliche Tonangeber ist die Bundeskanzlerin, und man einigt sich dann irgendwie auf einen Vorschlag, der vor allem aus Berlin kommt.

WELT: Die Ministerpräsidenten haben die Kanzlerin schon einige Male auflaufen lassen.

Schleiter: In der Tat. Dennoch gibt unsere Verfassung vor, wer für was zuständig ist. Wenn der Bund das, was jetzt durch Länderverordnungen gemacht wird, zentralistisch regeln würde, gälte in jedem Winkel von Deutschland dieselbe Rechtslage, auf Amrum wie in München. Das ist aber nicht gewollt, und das wäre auch verfassungsrechtlich nicht in Ordnung. Das Föderalismusprinzip will auch sicherstellen, dass Grundrechtseingriffe nur dort stattfinden, wo es nötig ist. Wir haben eben keinen zentralistischen Staat – aus gutemGrund, wie das Dritte Reich zeigt. Jetzt erlassen zwar formal die Länder ihre Verordnungen – aber nach einem Abstimmungsprozess in einem Gremium, das im Grundgesetz nicht vorgesehen ist. Mit solchen Abstimmungen wird sonst sehr kritisch umgegangen, denn aus der Trennung zwischen Bund und Land erwächst eine Zuständigkeits- und Machtbegrenzung. Es geht nicht, dass die Bundeskanzlerin da einen Entwurf vorlegt und den auch durchzuboxen versucht, und dann heißt es in den Nachrichten: Die Kanzlerin hat sich durchgesetzt. Sie darf gar nicht derart Einfluss nehmen.

WELT: Die Politik sagt immer wieder, man wisse noch nicht genug über das Virus, um Lockerungen zu verantworten.

Schleiter: Am Anfang, als die Pandemie noch jung war, gab es einen größeren Ermessensspielraum, um die Sachen praktisch zu regeln, eine sogenannte Einschätzungsprärogative. Aber je mehr Erkenntnisgewinn man hat, umso mehr verengt sich dieser Spielraum. Er verengt sich im Übrigen auch, wenn man nichts tut. Man hätte von Anfang an das RKI auf alle offenen Fragen ansetzen müssen – mit Massentests, Feldstudien, Antikörperstudien. Mittlerweile hat man festgestellt: Die Übertragungsrate ist gerade in den Bereichen, die eingeschränkt werden, verschwindend gering – etwa bei den Restaurants und Theatern. Die meisten Übertragungen finden im Altersheim, zu Hause und auf der Arbeit statt. Dann muss man aber begründen, warum Menschen ihr Geschäft schließen müssen, obwohl sie die Abstände einhalten, nur die Hälfte der Leute reinlassen und Masken tragen. Nur was man nachvollziehbar begründen kann, ist verhältnismäßig.

WELT: Wer für Öffnungen ist, der muss inzwischen den Nachweis führen, dass diese sichr möglich sind.

Schleiter: Ich gehe von der Verfassung aus, und die Grundrechte sind den Menschen zugesprochen. Die Beweislast für die Gefährlichkeit trifft denjenigen, der die Grundrechte einschränken möchte. Eine Verdachtseinschränkung als absolute Ausnahme ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr legitim.

WELT: Wann haben Sie sich entschlossen, Verfassungsklage einzureichen?

Schleiter: Ich wollte ursprünglich nur einen Aufsatz schreiben über die Rechtsetzung im Rahmen der Pandemie. Dazu begann ich, mich neben der juristischen auch mit der tatsächlichen Ebene der Pandemie und ihrer Bekämpfung zu beschäftigen. Ich bin es gewohnt, Sachverständigengutachten zu lesen, das ist in der Rechtsprechung tägliches Handwerkszeug – ob Schuldfähigkeit, Gefährlichkeit, Baurecht oder genetische Forensik. Jura ist nie nur Recht, sondern das Recht, auf Lebenssachverhalte angewandt. Also habe ich Akteneinsicht beantragt, um zu schauen: Welche Gutachten liegen vor? Welche Stellungnahmen wurden eingeholt? Ist es wirklich so, dass alle Grundrechte beachtet wurden? Ich habe im Spätsommer 2020 beim Bundeskanzleramt, biem Gesundheitsministerium des Bundes und von Brandenburg und bei der Senatorin für Gesundheit in Berlin Anfragen nach den Informationsfreiheitsgesetzen eingereicht.

WELT: Mit welchem Ergebnis?

Schleiter: Ich musste mehrfach anfragen, und dann kamen E-Mails mit dem Hinweis, die Mitarbeiter seien mit der Bewältigung der Pandemie zu beschäftigt, um die Fragen zeitnah zu beantworten. Zwischen den Zeilen konnte man lesen, dass es den Behörden gar nicht so recht war, dass jemand mit einem solchen Anliegen kommt. Die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci schickte mir dann eine wohl gesetzeswidrige Komplettablehnung. Das Bundeskanzleramt schickte mir die Einladungen für die jeweiligen Termine mit den Ministerpräsidenten und die gefassten Beschlüsse, also im Wesentlichen nur Informationen, die bereits der Presse zu entnehmen sind, und begründete die Ablehnung nicht nachvollziehbar unter anderem mit dem Schutz geheimdienstlicher Interessen. Als ich merkte, dass da eine Mauerhaltung bestand, als ob dort Geheimwissen verwaltet würde, machte es irgendwann klick, und ich dachte: Schreibst du doch eine Verfassungsbeschwerde, um das überprüfen zu lassen.

WELT: Was ist Ihr Anliegen mit der Beschwerde?

Schleiter: Unsere rechtliche Situation zur Kontrolle zu stellen – und das Handeln der Akteure wieder auf ein verfassungsgemäßes Maß zurückzuführen. Außerdem hatte ich zuletzt das Gefühl, dass sich in der Gesellschaft und in den Medien ein Meinungskorridor gebildet hat und gegenläufige Meinungen nicht mehr so abgebildet werden, wie sie vorhanden sind. Auch durch die Diskreditierung von Menschen mit abweichenden Positionen. Wenn ein Richter, dessen Aufgabe die Wahrung des Rechts ist, hier ein Problem benennt, kann das vielleicht helfen, eine sachliche Diskussion in Gang zu bringen.

WELT: Wissen Sie von einer ähnlichen Verfassungsbeschwerde zu den Corona-Maßnahmen?

Schleiter: Es gab im letzten Jahr rund 800 Anträge zur Pandemie in Karlsruhe. Normalerweise gibt es pro Jahr 5000 bis 6000 Verfassungsbeschwerden, wobei sich diese hohe Zahl auch daraus erklärt, dass Karlsruhe beliebt bei Querulanten ist. Es kostet nichts, man braucht keinen Anwalt, da kommen auch handschriftliche Zettel an. Zum Thema Corona wiederum gab es überwiegend Eilanträge, von denen die meisten bereits erledigt sind – teils durch Rücknahme. Nur zwei oder drei Eilanträge hatten Erfolg, da ging es um das Versammlungsverbot und das Verbot von Gottesdiensten.

WELT: Muss eine Beschwerde zur gegenwärtigen Situation denn nicht eiligen Charakter haben?

Schleiter: Wohl jede Beschwerde dürfte derzeit eilig sein. Die Frage ist aber, ob sie die erhöhten Anforderungen an einen Eilantrag erfüllt und damit Aussicht auf Erfolg hat. Bei einer Konstellation halte ich das für gegeben – nämlich bei Freiheitsentziehung durch Quarantäne. Wenn ich keine Krankheitssymptome habe, aber als Kontaktperson ersten Grades für zwei Wochen in Quarantäne muss, wird das Verlassen der Wohnung durch die Anordnung des Sofortvollzuges des Gesundheitsamtes zur Straftat. Im Zusammenspiel mit einem hohen Bußgeld von bis zu 25.000 Euro ist hier meiner Auffassung nach von einer Freiheitsentziehung auszugehen. Und die hat ganz besondere Voraussetzungen, nemlich einen Richtervorbehalt. Jemanden auf der Grundlage eines PCR-Tests, vielleicht auch nur aufgrund eines Kontakts für zwei Wochen einzusperren, ohne dass ein Richter darüber entscheidet – das geht für meine Begriffe nicht.

WELT: In Karlsruhe könnten Sie dagegen nur klagen, wenn Sie selbst von Quarantänemaßnahmen betroffen wären.

Schleiter: Ja, die eigene Betroffenheit ist eine Voraussetzung. Aber es ist denkbar, dass die hohe Wahrscheinlichkeit, von dieser Maßnahme einmal betroffen zu sein, ausreicht, um jetzt schon eine Betroffenheit anzunehmen. Ich habe mich dennoch gegen einen solchen Eilantrag entschieden und für eine grundsätzliche Beschwerde.

WELT: Eine weitere Bedingung für den Gang nach Karlsruhe ist, dass keine andere rechtliche Abhilfe offensteht.

Schleiter: Grundsätzlich darf die Verfassungsbeschwerde nicht unmittelbar eingereicht werden, erst muss der Instanzenzug beschritten werden. Wir erleben aber derzeit eine Sondersituation, in der flächendeckend bei allen Menschen so viele Grundrechte beeinträchtigt sind, dass es dem Einzelnen nicht möglich ist, gegen alles vorzugehen. Einen so überbordenden Aufwand kann keiner leisten, weswegen der Grundrechtsschutz leerläuft. Allein deshalb muss Karlsruhe direkt angerufen werden können. Zudem gilt, dass der Instanzenzug auch bei Unzumutbarkeit nicht beschritten werden muss. Das ist anerkannt bei Bußgeldtatbeständen. Hier bieten die Corona-Verordnungen eine sehr breite Angriffsfläche.

WELT: In welchen Grundrechten sind Sie durch die Pandemiepolitik persönlich betroffen?

Schleiter: Die verletzten Grundrechte habe ich aufgeführt als allgemeine Handlungsfreiheit, allgemeines Persönlichkeitsrecht und Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Recht auf Leben und Recht auf körperliche Unversehrtheit, Freiheit der Person auch in Form der Freiheitsentziehung, Schutz der Familie und Menschenwürde.

WELT: Was erhoffen Sie sich von den Karlsruher Richtern?

Schleiter: Es gibt drei Szenarien. Entweder die Verfassungsrichter sagen, sie nehmen die Beschwerde gar nicht zur Entscheidung an oder bewerten sie als unzulässig. In dem Fall hätte unser Rechtsstaat wirklich ein Problem. Nicht weil meine Beschwerde so gut wäre, sondern weil ich etwas vorgelegt habe, das eine so hohe gesellschaftliche Relevanz hat, dass man da nicht weggucken kann. Dann könnten die Richter sagen, alles richtig, die Maßnahmen müssen sofort alle aufgehoben werden – aber das kann ich mir beim besten Willen auch nicht vorstellen. Das Bundesverfassungsgericht ist ein kluges Gericht, das immer eine Folgenbetrachtung macht: Was würde es für die Zukunft bedeuten, wenn die Corona-Politik ohne Übergangsfrist für nichtig erklärt wird? Dann bricht alles in sich zusammen. Für realistisch und sinnvoll halte ich eine dritte Option. Karlsruhe könnte sagen: Ja, die Sachverhaltsaufklärung weist durchgreifende Mängel auf, der Parlamentsvorbehalt wurde missachtet, die Bund-Länder-Konferenz ist in dieser Form verfassungswidrig, und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wurde verletzt – wir müssen nachbessern. Wir auferlegen den Beteiligten – das wären dann Bund und Länder – bis zum Soundsovielten, die Rechtslage entsprechend unserer Entscheidung anzupassen.

WELT: Wäre Ihr persönliches Rechtsempfinden durch solch eine Kompromisslösung wiederhergestellt?

Schleiter: Ja, da würde ich sagen: Gott sei Dank! Es ist nicht plötzlich alles wieder gut, aber der Rechtsstaat hat sich immerhin am Ende bewährt.

WELT: Wollen Sie mit Ihrer Beschwerde auch ein Zeichen setzen?

Schleiter: Entscheidend ist die Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? In einem Sicherheitsstaat, um es euphemistisch zu formulieren? Oder in einem freiheitlichen Staat, wo ein differenziertes Ausbalancieren zwischen den einzelnen Grundrechten gegeben ist – und wo die Freiheit eine erhebliche Betonung hat? Ich persönlich möchte lieber in dem zweiten Staat leben.

WELT: Wäre es auf der Basis unserer Verfassung denkbar, dass man einen anderen Weg einschlägt?

Schleiter: Unsere Verfassung ist in hohem Maße interpretationsfähig. Es gibt Stimmen, die sagen, man kann mit ihr auch von der Marktwirtschaft abkehren, es wäre auch eine Planwirtschaft denkbar mit sozialistischen Zügen. Ob das stimmt, lässt sich schwer beurteilen. Die Ewigkeitsklausel im Artikel 79 unseres Grundgesetzes schreibt einige grundlegende Staatsprinzipien wie Demokratie, Gewaltenteilung oder das Bundesstaatsprinzip fest – die freiheitliche demokratische Grundordnung für sich genommen allerdings nicht. Als Richter muss und darf ich mich zu dieser Grundordnung bekennen. Gerade sie aber ist bereits jetzt in Gefahr. Wenn sie weiter erodieren würde, hätte ich ein großes Problem. Dann könnte ich mir vorstellen auszuwandern.

WELT: Sie haben das Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte gegründet. Was ist das?

Schleiter: Als die Verfassungsbeschwerde bekannt wurde, hat mich ein Kollege angeschrieben, ein gestandener Verwaltungsrichter. Er könne fast jedes Wort darin unterschreiben. Wir haben dann zusammen ein Netzwerk gegründet, eine Webseite hochgefahren, und dann kamen mehrere Hundert Zuschriften, darunter Richter, Staatsanwälte, Anwälte, Ärzte, Statistiker, Ministerialbeamte und viele andere Menschen. Sie haben auch ihre Begeisterung ausgedrückt und teils Unterstützung anboten. Ein 101-Jähriger schrieb uns: Dass ich das noch erleben darf, dass Richter auch einmal etwas gegen ihren Arbeitgeber sagen! Wir wollen uns jetzt als Verein gründen, unser erstes Ziel ist es, objektiv, tatsachenbasiert und nüchtern bei der juristischen Bewältigung der Krise zu helfen. Im Anschluss geht es an die Diskussion größerer Probleme der Justiz als dritter Staatsgewalt.

WELT: Wo liegen die Grenzen dessen, was Sie als Richter an Kritik äußern können?

Schleiter: Ich muss natürlich das Mäßigungsgebot beachten. Aber ich fühle mich von meinem Arbeitgeber auf sehr positive Weise in Schutz genommen, auch gegen Angriffe von außen. Das Gericht hat klargestellt, dass ich als Richter meine private Meinung äußern darf.

WELT: Vertreten Sie in der Richterschaft eine Außenseiterposition?

Schleiter: Das glaube ich nicht. Intern wissen wir, dass viele Kollegen deutlich kritischer sind, als dies nach außen sichtbar wird. Wir wollen jetzt ins Gespräch kommen, auch mit dem Deutschen Richterbund. Der kommentiert die Lage bis jetzt so, dass die dritte Gewalt sich in der Krise bewährt hat. Das sehe ich noch nicht so. Die Bewährungsprobe steht noch bevor.

https://www.welt.de/kultur/plus227776037/Richter-klagt-in-Karlsruhe-Was-wir-erleben-ist-verfassungswidrig.html

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Amtsgericht Weimar bestätigt katastrophales Versagen der Politik

J.Š. 22.3.2021

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