Verehrte Freunde, ich heiße Miroslav Rožnovský und wurde in dem Sudetendorf Saitz, Bezirk Lundendorf, geboren. Ich bin zwar nicht durch eine unglückliche Vergangenheit belastet, ich bin Jahrgang 1958, aber wahrscheinlich hat das sudetendeutsche Schicksal meinen Geist berührt, so daß ich anfing, über diese Dinge nachzudenken. Ich habe die Eigentümer meines Geburtshauses, das ursprünglich im Besitz der Familie Anna und Alois Urbitsch stand, persönlich kennengelernt.
Im Jahre 1992 besuchte uns die ganze Familie und äußerte den Wunsch, das Haus zu besichtigen. Selbsverständlich haben wir ihnen das ermöglicht. Die Besichtigung endete im Weinkeller, der zum Haus gehört. Es enstand eine paradoxe Situation, weil ich mit ihnen ein gemeinsames Geburtshaus hatte. Es entwickelte sich eine Debatte darüber, wem das Haus eigentlich gehört.
Ich bin kein Anhänger von Kollektivschuld und fing deshalb an, über die Ursachen und die Folgen dieses Konfliktes, der unsere Vergangenheit belastet, nachzudenken. Eine kollektive Vertreibung kann ich nicht akzeptieren. Ich frage mich daher, warum wir die einzelnen Fehlverhalten von konkreten Menschen nicht von den Gerichten prüfen ließen, wie es Frankreich, Italien, Holland, Belgien und andere Ländern getan haben. Auch stört mich, dass das tschechische Parlament im September 1946 rückwirkend Benesch-Dekrete eingeführt hat, die die Straffreiheit für Verbrechen an unschuldigen Sudetendeutschen festgelegten. Die deutsche Seite trägt eindeutig die Schuld dafür, dass sie einen Konflikt provoziert hat, aber doch im Zusammenhang mit einer bestehenden historischen Besiedlung, einschließlich der nationalistischen Politik nach dem I.und II. Weltkrieg.
Bei dem Ehepaar Urbitsch war deutlich zu erkennen, dass sie keine Anhänger der NSDAP waren, auch nicht des faschistischen Regimes. Wir wurden zu einem Gegenbesuch nach Neukirchen bei Nürnberg eingeladen, wo wir unsere Debatte fortsetzten. Ich habe mir das bewegende Schicksal der Familie nach der Vertreibung angehört, und das ist wahrhaftig nicht leicht gewesen. Ich habe gemerkt, dass sie keine materiellen Ansprüche stellen und begriffen, dass unsere Medien nicht objektiv sind, ganz zu schweigen von eine ganzen Reihe politischer Vertreter.
Unseren Gastgebern brachte ich als Geschenk ein Türdachfenster mit, welches ich restaurieren ließ, weil auf dem Milchglass noch die unsprüngliche Aufschrift der Eigentümer des Hauses stand: Anna und Alois Urbitsch, Nummer 247. Nach der Übergabe brachen die ursprünglichen Eigentümer in Tränen aus. Da habe ich begriffen, wie stark ihre Beziehung zu unserer gemeinsamen Heimat ist.
Zur Zeit lebe ich in Hruschowan bei Brünn. Mit meiner Frau habe ich eine Kirche eingerichtet, die an die Sudetendeutschen des Dorfes Saitz erinnern soll. Ich habe den ursprünglichen Kreuzweg der Kirche, der nach dem II. Weltkrieg entfernt und zerstört wurde, in Saitz wiedergefunden. Er wurde mit Wasserglas bedeckt und nach der Reinigung konnten wir eine herrliche Malerei entdecken. Nun ist sie in der Kirche von Hruschowan bei Brünn wieder aufgestellt.
Diese Geschichte schicke ich Ihnen zu, damit sie wissen, dass es in Böhmen auch Menschen gibt, die über die Vergangenheit nachdenken und kein Kollektivstrafe verlangen. Gezwungenermaßen habe ich mich mit der Unfähigkeit der Mehrheit der Tschechen und der eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt, einschließlich der späteren russischen Okkupation, der Kollaboration mit den Okkupanten und der kommunistichen Diktatur, die ich selbst miterlebt habe. Ich bin froh über meine hier geschilderte persönliche Erfahrung und habe viel daraus gelernt.
Obwohl Englisch heute im Trend liegt, schrieb ich meine Tochter für den Deutschunterricht ein, damit sie mit den Nachbarn sprechen und zur Wiedergutmachung der tschechisch-deutschen Beziehungen beitragen kann. Heute spricht sie schon ganz gut. Ich wünsche Ihnen alles Gute bei Ihrer Tätigkeit.
Mit Gruss
Miroslav Rožnovský
Hrušovany bei Brünn, 11.10.2011
An: http://www.sudetsti-nemci.cz/cs/contact - Sudetendeutsche Landsmannschaft in Böhmen, Mähren und Schlesien, Bürgervereinigung.
Jan Šinágl, 15.10.2011
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