Premier Petr Nečas hat überraschend Justizminister Jiří Pospíšil abberufen, angeblich wegen eines Verstoßes gegen die Haushaltsdisziplin der tschechischen Regierung. Pospíšil hatte eine Milliarde Kronen u.a. für die Gefängnisbetriebe gefordert. Pospíšil äußterte, dass der Premier von seiner Forderung schon lange gewusst habe. Es ist demnach nicht auszuschließen, dass die Begründung der Abberufung ein Vorwand war, Pospíšil zu "beseitigen". Er sollte nämlich über die Neubesetzung der Prager Staatsanwaltschaft entscheiden und signalisierte, dass er den Vorschlag des Obersten tschechischen Staatsanwaltes Pavel Zeman, die Staatsanwältin aus Ústí nad Labem / Aussig, Lenka Bradáčová zur obersten Prager Staatsanwältin zu ernennen, nicht unterstützen werde. „Offiziell“ wird Bradacova als ehrgeizige Beamtin wahrgenommen, die sich nicht korrumpieren lässt. Mit ihr soll der Beweis erbracht werden, dass man sich für eine „saubere Sache“ einsetzt. Die StA in Aussig ist allerdings kein unbeschriebenes Blatt und in mancher Hinsicht verdächtig.
Die ausländische Presse hat sich bereits täuschen lassen. So schreibt die Neue Züricher Zeitung: „Bei Bradacova handelt es sich um eine zielstrebige junge Frau, die in ihrer bisherigen Karriere gezeigt hat, dass sie nicht aus dem Umfeld des politischen Filzes stammt, dem weite Teile der Politikergeneration angehören, die die letzten zwanzig Jahre geprägt hat.“ - Justizminister überraschend entlassen. Man wird daher nicht beanstanden, wenn Frau Bradacova doch noch den neuen Posten in Prag besetzen sollte. Die Abberufung von Pospíšil könnte ein gefährliches Signal dafür sein, dass die Macht der "alten Riege" im Vorfeld der Entscheidung über die Nachfolge von Vaclav Klaus gesichert werden soll und Klaus "seine" Leute rechtzeitig auf den wichtigen Stellen plazieren will.
Jedenfalls wird die Oberste StA in Prag für einige Wochen ohne Führung und damit in den Händen der „alten Strukturen“ sein. Dass bezüglich der aktuellen „heißen“ Milliarden-Korruptions-Affairen, die bis in die obersten politischen Etagen reichen, nichts zu befürchten ist, wird wohl nur der naive Bürger glauben – die bevorstehende Ferienzeit ist für die Beteiligten nur von Vorteil. Die tschechischen Medien, die von den Machthabern im Hintergrund zweifellos beherrscht und manipuliert werden, werden sicher die Öffentlichkeit entsprechend „informieren“, also den Fokus auf unwesentliche Dinge lenken.
Ein „Dunkelthema“ ist zum Beispiel der Skandal in Temelin, wo von Deutschen für etwa 800.000.000,- Kronen ein Zwischenlager errichtet werden soll. Über die dubiose Firma, die angeblich für 1.800.000.000,-Kronen baut, über den Ablauf und den Besitzer dringt nichts in die Öffentlichkeit. Dazu schweigen die öffentlichrechtliche Medien! Böse Zungen behaupten, dass einige hundertmilionen Kronen in den leeren Parteikassen der Regierungsparteien „landeten“ …?! In den Hauptnachrichten des tschechischen Fernsehens am 27.6.2012 bestätigte Pospíšil, dass er seinen Vorschlag mit Regierung abgesprochen hat und diese mit der Bewilligung des Miliarden-Zuschusses für den Justizbereich im kommenden Jahr einverstanden war. Kurz darauf gab es ein Gespräch mit Premier Necas. Da drängt sich doch die Frage auf: „Wieso wurde der Justizminister wegen dieser Finanzforderung, die ihm doch von der Regierung zugesprochen wurde, abberufen?“ Die Fernsehzuschauer warteten vergeblich auf eine Antwort. Es bleibt so zu hoffen, dass sich das Volk nicht auf einen neuen "Osttrend" einlässt. Moskau ist über die „neueste“ Entwicklung in Tschechien sicherlich nicht unglücklich!
Jan Šinágl, 28.6.2012
P.S.
Erfreulicherweise machen sich erste Gegenreaktionen bemerkbar. In Prag werden bereits Demonstationen gegen die Abberufung von Jiří Pospíšil organisiert. Vor allem melden sich die Studenten der juristischen Fakultät der Karlsuniversität zu Wort. Sie beriefen eine Kundgebung für Mittwochabend ein. Auch die Grünen wollen Pospíšil durch eine Demonstration unterstützen. Pospíšil genießt in der Öffentlichkeit großes Ansehen.
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