Die Tatsache, dass Helena Vondráčková sich mit jemandem vor Gericht streitet, ist ungefähr so interessant wie die Tatsache, dass nach dem Frühling der Sommer folgt. – Nun kommt jedoch etwas Neues hinzu. Die Sängerin und ihr Ehemann, Michal Martin, verteidigen diesmal nicht nur ihre eigenen Interessen, sondern uns alle. Sie haben Strafanzeige gegen den Aktivisten Jan Šinágl erstattet wegen angeblicher Leugnung des Nazi-Genozids an der tschechischen Nation während des Krieges.
Danach soll Jan Šinágl sich durch den Vergleich der von Reinhard Heydrich und von Klement Gottwald zu verantwortenden Opferzahlen mit Hinweis auf die Zahl der tschechischen Informanten während der Heydrich-Zeit und die Morde bei der Vertreibung der Deutschen und ähnlichen Dingen, strafbar gemacht haben – nun wird es wahrscheinlich Sache des Richters sein, zu sagen, ob es so war oder nicht. Das sollte kein Problem sein, denn die historischen Fakten stehen zur Disposition - und somit überlassen wir diese Angelegenheit vertrauensvoll der Justiz, weil das Wort "richten" und "Richter" offensichtlich immer mit „Urteilsfähigkeit" einher geht…
Interessant an dem Fall ist etwas anderes: eine Verlagerung des eigenen Verteidigungsinteresses der Sängerin und ihres Mannes auf das Verteidigungsinteresse der gesamten Nation. Schon deshalb, weil sie sich während ihrer bisherigen langen Karriere nie politisch engagiert haben, abgesehen von dem Lied „Gehe über den Jordan“ im Jahr 1968, welches von den Kommunisten als Aufruf zur Auswanderung verstanden wurde (und ohne Ironie: es war sehr gelungen). Übrigens ist der ehemalige Emigrant Jan Šinágl einer von denjenigen, der diesem Aufruf gefolgt ist. So heißt es in jenem Lied: "Mach dich auf die Socken... Solange Dein Kopf klar ist…Nimm Deinen Rucksack und warte nicht ... "
Böhmen horchte sicherlich auf, als es erfuhr, wer sich denn da für die Nation einsetzt, aber dennoch muss ich (wie einer, der bislang nur feige geschwiegen hat und unter der Herrschaft der Fremden und ihrer Günstlinge leidet), entgegen aller Regeln der Dankbarkeit fragen, ob es wirklich nur Altruismus ist, mit dem die Sängerin die Schlacht für die geschändete Nation eröffnet.
Man kommt nicht umhin zu bemerken, dass es echten Patrioten in unserem Land in letzter Zeit zunehmend nicht mehr gelingt, ein Publikum so anzuziehen wie früher und wenn, dann nur auf diese Weise, auch wenn es anders gewollt war. So wirkt zum Beispiel bei Václav Klaus, die bis vor kurzem bewährte kommunistische Angstmacherei in seiner heutigen Ausführung schon nicht mehr glaubwürdig. Oder Jana Bobošíková (die ehemalige TV Moderatorin, Europaabgeordnete und Kandidatin für das Präsidentenamt der Kommunisten vor 6 Jahren, J.Š.), deren arg erfolgloser Versuch, in die hohe Politik einzudringen, schon fast bewegend ist. Oder der Teil der ODS (Rechtspartei, gegründet von Vaclav Klaus, J.Š.) der spürte, dass man nach einer grandiosen Reihe von exorbitanten Korruptionsskandalen nur noch mit erhabenem, exaltiertem Patriotismus Aufmerksamkeit erwecken kann. Ganz zu schweigen, von einigen kleinen Parteien des faschistoiden Typs.
Es kann uns vielleicht trösten, dass dies nicht nur ein rein tschechisches Phänomen ist. Der exzellente italienische Schriftsteller Umberto Eco lässt in seinem jüngsten Roman „Prager Friedhof“ den russischen Geheimdienstler sagen: "Wir müssen den Menschen die Hoffnung geben, dass es hier einen Feind gibt. Jemand sagte, dass Patriotismus im Müll die letzte Zuflucht ist: Wer keine moralischen Prinzipien hat, wickelt sich in der Regel in eine Fahne… Die nationale Identität ist die letzte Waffe der Besitzlosen. Der Feind ist ein Freund der Völker ... "
Mit dem Zitat von Eco will ich definitiv nicht implizieren, dass alle Menschen, die auf ihre Nation stolz sind, Schurken sind. Allerdings bin ich mir bei denen, die das in der Politik öffentlich bekunden, nicht so ganz sicher. Helena Vondráčková und ihr Mann können die so plötzlich erwachte Aufrichtigkeit ihres kämpferischen Patriotismus nur auf eine Art beweisen, nämlich, dass sie sich zukünftig so weit wie möglich von der Politik fernhalten. Und das wiederum beklagen Boulevardzeitungen - diesmal wegen der Information, dass Martin Michal im Herbst für die Kommunalwahl kandidieren will. (Martin Michal kandidiert für die politische Partei von Jana Bobošíková SUVERENITA, es gab schon eine Pressekonferenz, auf der beide zu Wort kamen. J.Š.)
http://www.reflex.cz/clanek/nazory/47083/helena-vondrackova-roduverna-vlastenka.html
P.S.
Die Politiker in Tschechien und Deutschland befürchten vermutlich, dass die Sache eine öffentliche Diskussion entfachen könnte. Es wundert mich nicht, dass nun plötzlich die meinen Fall betreffenden Polizeiunterlagen, samt meiner umfangreichen Angaben zur Genozid-Frage, verschwunden sind, angeblich auf dem Postweg zur Staatsanwaltschaft. Es ist davon auszugehen, dass es um dieses Thema erstmal wieder etwas still werden soll. Ich gehe davon aus, dass das politisch arrangiert wurde. Ich kenne die Tricks. Die finden immer einen Weg, brisante Themen flachzuhalten. D-Radio Prag kein Wort, Landeszeitung cz kein Wort, SD-Zeitung kein Wort, D-Fernsehen kein Wort, SDL Büro in Prag kein Wort, SDL–Führung kein Wort… Man könnte ja die "guten" Beziehungen kaputt machen. Zur Zeit werden 40 (!) Folgen über die Heydrich-Zeit im CZ-TV ausgestrahlt. Das muss ja Spuren hinterlassen. Auch wurde Meine Beschwerde an TV CZ bzgl. der Dokumention MEIN KROJ nach fast 3 Monaten immer noch nicht bearbeitet, obwohl ich meine Beschwerde, nachdem auch diese abhanden gekommen sein soll, noch einmal persönlich dem Vorsitzenden, Hrn. Milan Uhde, ausgehändigt habe. Ein Politikum hat eben eigene „amtliche“ Wege. Ich sehe schon, mir werden die Themen nicht ausgehen! J.Š. 19.7.2012
Read more...