Bayerischer Premierminister in Prag – ein hoffnungsvoller Weg führt nur über die Verarbeitung unserer Nachkriegsvergangenheit vorwärts.
Jiří Louda: „Vor unserer Geschichte können wir nicht wegrennen.“
Anlässlich der heutigen Pressekonferenz im Regierungsbüro wurde nicht das gesagt, was gesagt werden sollte, man kann sie aber trotzdem positiv beurteilen. Es war der erste Besuch des Premierministers des größten Bundeslandes der BRD seit dem Ende des 2. Weltkriegs. HIER können Sie die ganze Aufzeichnung der Konferenz in deutsch hören (tschechisch im Hintergrund) und HIER die Fotogallerie besuchen. Ungefähr 45 Medienvertreter (Presse, Rundfunk und TV) aus den deutschsprachigen Gebieten und 15 von der tschechischen Seite (vorwiegend Fotografen) nahmen daran teil. Es wurden nur drei Fragen bewilligt. Die deutschen Teilnehmer stellten keine Fragen.
Gestellt wurden sie von CTK (Tschechische Hauptnachrichtenagentur), CT (Tschechische Fernseher) und auch ich hatte die Gelegenheit. Ich fragte Premier P. Necas, ob er einverstanden sei, dass die beste Entschuldigung an unsere ehemaligen Mitbürger, die tschechoslowakischen Deutschen, die Publizierung der jahrelang verschwiegenen Wahrheit wäre? Im Prinzip antwortete er, dass dem nichts im Wege stünde, und der bayerische Premierminister ergänzte, dass dies ein Thema ihres Gespräches gewesen sei. HIER ist das Schlusskommuniqué.
Dieses Dokument in deutsch übergab ich dem bayerischen Ministerpräsidenten und der Mehrheit der deutschen Vertreter (auf der tschechischen Seite nahm dieses Dokument in tschechischer Version fast niemand in Empfang). Er nahm es mit Sympathie an, P. Necas hingegen weigerte sich dasselbe Dokument in tschechisch entgegenzunehmen, ich verstehe, er hatte andere Sorgen. Nebenbei, vor dem Regierungsbüro wurde der Schnee nicht geräumt und der Kaffeautomat war außer Betrieb. Was für eine Schande, aber die anwesenden deutschen Journalisten nahmen es mit Humor und Gelassenheit. Wenigstens funktionierte das Internet und die Erfrischung in Form von Mineralwasser und „geschmacklosen“ Riesensandwichen (ästhetisch gemeint), die sich nicht gerade der Beliebheit der deutschen Gäste erfreuten. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich die renommierten deutschen Journalisten die dreißgzentimetrigen Dinge öffentlich „hineinstopfen“ würden, und noch dazu in einem solchem Milieu. Ich gebe zu, ich nahm zwei. Eins aß ich unterwegs zum Prager Erzbischofspalast, mit dem anderen erfreute ich einen alten Geiger, der für die Touristen unter der Pragerburg spielte. Zur kultivierten Welt haben wir es doch noch sehr weit!
Ich erwartete, dass an dieser Pressekonferenz auch der Journalist Petr Uhl teilnimmt, ist er doch Träger des Karlspreises, der höchsten Auszeichnung, die die Sudetendeutsche Landsmannschaft verleiht. Vielleicht schrieb er wenigstens etwas in der Tageszeitung PRAVO, wo er als Redakteur arbeitet?
Ich mache darauf aufmerksam, es ist absolut skandalös, dass in unserem Land die undemokratischen, kriminellen Benes-Dekrete immer noch ein Bestandteil der tschechischen Rechtsordnung sind! Diese legitimierten nachträglich die Vertreibung der tschechoslowakischen Bürger deutscher Abstammung aus ihrer hundertjährigen Heimat, die Beschlagnahme ihrer Habe, ihre bestialische Peinigung und Ermordung. Ihre einzige Schuld war, dass sie deutsch sprachen. In der überwiegenden Mehrheit waren sie absolut unschuldig. Alles geschah unter stillem Einverständnis des Präsidenten Edvard Benes.
Es ist Zeit gekommen, nach vielen Jahren der Vertuschung der tschechischen Greueltaten an den Unschuldigen und Schutzlosen während der Friedenszeit, der „Gebrandmarkung“ jedes Deutschen als Faschist und Nazist, des Verschweigens der kommunistischen Verbrechen, zu beginnen, offen über die Genozide eines Drittels der tschechoslowakischen Bürger deutscher Abstammung, zu reden, falls wir uns jemals für einen fortgeschrittenen und demokratischen Staat halten wollen.
Nebenbei, die böhmischen Deutschen hatten entscheidenden Anteil an der Wiederherstellung der Wirtschaftskraft von Bayern, wo sich die Mehrheit von ihnen nach der Vertreibung niederließ. In der Tschechoslowakei produzierte dieses Drittel der Bevölkerung zwei Drittel des Nationalproduktes. Für mich besteht kein Zweifel, dass, wenn sie hätten bleiben können, Premier P. Necas heute keine Probleme hätte, Geld für Ärzte zu besorgen, ganz zu schweigen von den anderen Werten, die die böhmischen Deutschen vorzuweisen hatten, zusammen mit den Juden, und die uns heute so dringend fehlen...
Tschechischer Rundfunk: Auch der Prager Erzbischof Dominik Duka empfing den bayerischen Premierminister. Der oberste Vertreter der Tschechischen Katholischen Kirche erinnerte daran, dass erst die beiden Diktaturen, die nationalsozialistische und nachfolgend die kommunistische, das friedliche Zusammenleben der tschechisch- und der deutschsprachigen Prager zerstörte. Die wahren Demokraten und die wahren Gläubigen in Tschechien und in Deutschland halfen sich gegenseitig. Er sagte: „Hoffentlich wird Ihr Besuch dazu führen, dass das Wort München nicht mehr als Synonym für Verrat, Diktatur oder Untergang der Selbstständigkeit steht, sondern zum Namen einer Stadt wird, mit der wir freundschafliche und wichtige geistliche, kulturelle und zwischenmenschliche Zusammenarbeit pflegen“.
Jan Šinágl, 20.12.2010
Deutschübersetzung Jan Kriz
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