Vor ein paar Tagen feierte Sokol (oder vielleicht besser gesagt die tschechische Sokol-Gemeinschaft) ihr 160-jähriges Bestehen.
Sie war (mit Ausnahme des Verbots unter den Nazis und den Kommunisten) und ist immer noch die am weitesten verbreitete, berühmteste und aus heutiger Sicht ikonische Organisation für Leibesübungen in den tschechischen Ländern; nach ihrem Vorbild wurden unter anderem andere ähnliche Verbände gegründet - schon zu österreichischen Zeiten: der katholische Orel oder, auf der anderen Seite des Spektrums, der atheistisch-proletarische Verband der Arbeiterturnvereine (der zur gleichen Zeit wie der Sokol und der Orel, also auch unter den Kommunisten, verboten wurde).
Die Jubiläumsfeierlichkeiten waren nicht besonders spektakulär, zum einen vielleicht, weil 160 im Dezimalsystem keine besonders runde Zahl ist, zum anderen vielleicht, weil nach dem 40-Millionen-Kronnen-Betrug an der Sokol-Zentrale einfach das Geld dafür fehlte. Leider wurde nicht an die Gründerväter und ihre Zeit erinnert - was ich kurz korrigieren möchte, schon allein deshalb, weil diese Zeit sich in vielerlei Hinsicht nicht nur von der heutigen unterscheidet, sondern auch von der Wahrnehmung, die die Mehrheit von ihr hat.
Ich werde mit der Biografie von Miroslav Tyrš beginnen. Er wurde 1832 als (laut Eintrag im Standesamt in Děčín) Fridericus Emanuel Tirsch (nicht Tiersch oder Thiersch, wie man auch im Internet finden kann) in eine deutschsprachige Familie des Arztes Johann Vinzenz Tirsch und seiner Frau Vinzenzie, geb. 1832, geboren. Kirschbaum. Im Jahr 1836 zog die Familie nach Döbling bei Wien, wo der Vater noch im selben Jahr starb. Die Mutter zog daraufhin mit ihrem Sohn zurück nach Böhmen.
Als auch sie 1838 starb, wurde das Waisenkind vom Bruder seiner Mutter, Friedrich, aufgenommen, dessen Familie trotz seines Namens (den er nur auf "-e-", nicht aber in der alten tschechischen Form "Bedřich" geschrieben hatte) Tschechisch sprach. Drei Jahre später, 1841, zog der neunjährige Tirsch, der damals den deutschen Namen Friedrich ("Reich, reich an Frieden, Herr des Friedens", daher ab 1864 "Miroslav") trug, mit dem anderen tschechischsprachigen Bruder seiner Mutter, Anton (nicht Antonín), nach Prag.
Hier studierte er später Kunstgeschichte, für die er 1884, kurz vor seinem tragischen Tod (er ertrank in einem Alpenfluss), Universitätsprofessor wurde. Er war auch Mitglied des Wiener Reichsrates.
Der zehn Jahre ältere (*1822) Heinrich Anton Fügner wurde als Sohn des Prager deutschen Kaufmanns Peter Fügner und seiner Frau Franziska geboren. Doch auch er wurde - vor allem unter dem Einfluss seiner bewusst tschechischen Frau Katherine, geborene Turkova - allmählich "sauberer", unter anderem begann er, sich "Jindrich" zu schreiben (was bereits eine alttschechische Adaption des deutschen "Heinrich" ist, ursprünglich "Heimrich" - "Herr, Herrscher des Hauses").
Beide Herren werden daher manchmal mit dem etwas ungewöhnlichen Beinamen "tschechischer Erwecker deutscher Herkunft" bezeichnet. Ich will den Leser nicht mit den bekannten Fakten darüber langweilen, wie sie den tschechischen Sokol in Anlehnung an die deutsche Turnerbewegung gründeten. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass das tschechisch-deutsche Zusammenleben einst sehr freundschaftlich und fruchtbar war - bevor sein Image und er selbst durch die nationalistischen Schrecken des 20. Jahrhunderts zerstört wurden.
P.S..
Während der Herrschaft der böhmischen Könige galten natürlich alle Einwohner des Königreichs als Böhmen, unabhängig davon, ob sie Mährer, Schlesier, Deutsche, Italiener, Franzosen usw. waren. Es war ein wahres Europa in der Seele, im Körper und in seiner Lage im Herzen Europas. Nach 1948 wurde die Sokol allmählich von den Kommunisten übernommen, und ihre Nachkommen machen bis zum heutigen Tag weiter. Die Marke bleibt, aber der Inhalt wurde entleert! Ich bin ein ehemaliges Mitglied von Sokol Luzern, Sokol Zürich und Kreisleiter von SOKOL in der Schweiz. Ich bin auch Ehrenmitglied des Sokol Žebrák. Ich durfte nicht an der Generalversammlung teilnehmen... JŠ
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