Preisgekrönte tschechische Autorin Radka Denemarkova lebt mit dem Risiko der Nestbeschmutzerin
VOLKSBLATT: Frau Denemarkova, Sie stellen in Ihrem Buch „Ein herrlicher Flecken Erde“ das Schicksal der deutschsprachigen Jüdin Gita Lautschmannova dar, welche erst von Nationalsozialisten ins KZ gesteckt, dann nach dem Krieg in der Tschechoslowakei als deutsche Kollaborateurin angefeindet wurde. Welche Botschaft wollen Sie damit transportieren?
RADKA DENEMARKOVA: Meine Romane sind Gleichnisse für die Auseinandersetzung mit der Geschichte meines Landes. Ein Versuch, sich mit etwas auseinanderzusetzen, womit man sich hierzulande nicht auseinandersetzen kann. Die Tür zu einer nackten Geschichte zu öffnen, dem Drama seine Kraft zurück zu geben. „Die Wahrheit sagen und nicht nur die Wirklichkeit abbilden“.
Fällt es leichter, für das Leid einer Deutschen Verständnis zu finden, wenn diese auch Jüdin ist?
Gita Lauschmannova aus der assimilierten Familie ist immer wieder einige Schritte hinter der Geschichte. Sie wusste gar nicht, dass sie die Jüdin ist —und auf einmal ist sie im KZ. Sie möchte nach Hause zurück und auf einmal ist es schlecht, dass sie deutsch spricht. Ich wollte da die Modellsituation zeigen, welche sich leider immer wieder in der menschlichen Gesellschaft wiederholt: die Menschen, die Minderwertigkeitskomplexe haben, finden immer wieder ihre Opfer.
Im tschechischen Keller viel gefunden
Sie haben einmal gesagt, „Ich möchte die Leichen, die wir im Keller haben, nehmen und durchleuchten". Was haben Sie im tschechischen Keller gefunden?
Vieles habe ich leider im tschechischen Keller gefunden. Die Atmosphäre der hiesigen Geschichtsverdrängung wird bis heute von populistischen tschechischen Politikern als Schreckgespenst benutzt. Außerdem bereitete die wilde Vertreibung (der Sudetendeutschen, Anm.) anderen furchtbaren Geschehnissen den Boden.
Auf einmal musste ich Angst haben
Wie ergeht es Ihnen als Nestbeschmutzerin?
Ich bin inzwischen schon damit einverstanden, dass ich eine fast gefährliche Arbeit mache. Aber ich kann nicht anders. Es geht doch darum, alles mit der Wahrheit zu benennen. Am stärksten habe ich den Hass am Anfang erlebt. Es war absurd. Ich habe eine hoch stilisierte, fiktive Geschichte geschrieben. Es handelt sich doch „nur" um die Literatur. Und auf einmal musste ich privat Angst haben. Zuerst vor den Briefen, die ich von der Skinhead-Bewegung erhalten habe: sie meinten, dass ich die Jüdin bin. Ich musste meine E-mail-Adresse wechseln. Dann haben mich die Menschen aus der „Bewegung der nationalen Befreiung“ beleidigt, dass ich da für die Nazis schriebe, anstatt den Opfern des Zweiten Weltkriegs das Interesse zu widmen.
Leider hat sich nichts geändert
In Tschechien gibt es aber immer mehr Bücher, Dokumentationen oder Spielfilme zur Nachkriegsgeschichte — und Medien, die sich damit auseinandersetzen. Ist das nicht ein grundlegender Wandel?
Ja, aber es ist die Oberfläche. Ein ernsthaftes Thema ist es für Intellektuelle, Historiker und Künstler. Leider hat sich in der Gesellschaft nichts geändert, da kann man dieses Thema der Sudetendeutschen immer wieder als populistisches Mittel benutzen. Es geht immer wieder um die primitive Angst — und um Eigentum. Die tschechische Gesellschaft ist krank. Und nicht nur das. Sie lehnt es ab, sich behandeln zu lassen. Seit Jahrzehnten leben wir mit der gefälschten Geschichte, und solange diese Wirrnis nicht aufgelöst wird, sind wir nicht wirklich frei. Wir leben in einem tragischen Land, in dem sich die Menschen nach Vergessen sehnen, und in ihrer Sehnsucht von der zeitgenössischen Kunst unterstützt werden.
Die Tschechen möchten nur Opfer sein
Österreich musste aus dem Bekenntnis zu den dunklen Kapiteln der eigenen Geschichte auch Konsequenzen ziehen. Wird es in Tschechien jemals dazu kommen?
In unserer Jugend liegt keine Hoffnung, sie wächst in einer Atmosphäre auf, in der seit Generationen Halbwahrheiten und Vorurteile weitergegeben werden. Wusste Vaclav Havel denn 1989 nicht, dass seine Vorstellung, bei Null anzufangen und einen dicken Strich unter die Vergangenheit zu ziehen, das Gleiche heißt, wie die Vergangenheit unter den Teppich zu kehren, wo sie bis heute weiter gären kann? Das ganze 20. Jahrhundert wurde vom Tisch gewischt. Die Tschechen möchten nur die Opfer sein.
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