Ein mehrsprachiges Zeitzeugenbuch
Noch im Titelblatt steht außerdem: Přežili jsme, také abychom podali svědectví und Doboví svědci vyprávějí was so viel heißt wie „Zeitzeugen berichten“. Das macht natürlich neugierig. Sollte das wirklich eines der so raren deutsch – tschechischen Bücher sein, in dem Zeitzeugen zu Wort kommen und der anderssprachige Nachbar anschließend nachlesen kann, was berichtet wurde? Man schlägt neugierig auf und ist überrascht. Man kann es nicht nur anschließend nachlesen, sondern findet im ganzen Buch Seite für Seite Deutsch und Tschechisch gegenübergestellt. Die zahlreichen Bilder und Dokumente sind in dieses System eingebunden, wobei die Abbildungen meistens auf den tschechischen bzw. slowakischen Seiten stehen, nämlich diese Texte sind kürzer, weil das in diesen Sprachen einfach so ist.
An dieser Stelle wird deutlich, dass in diesem Buch nicht nur sudetendeutsche, sondern auch karpatendeutsche Zeitzeugen zu Wort kommen. Letztere sind natürlich ins Slowakische übersetzt. Eine Erkundigung beim Lektor des BuchesProf. Wollrab ergibt, dass es eigentlich dennoch ein zweisprachiges ist; denn tschechische und slowakische Leser werden den Zungenschlag des anderen ausmachen und als Bereicherung empfinden. Außerdem erfahre ich von ihm, dass die vier tschechischen Berichte von der Übersetzerin Frau Gudrun Heißig besonders gelungen sind.
An dieser Stelle rücken die in den Blickpunkt, die sich noch um dieses Buch bemüht haben. Dr. Hans Mirtes und Gerolf Fritsche haben sechs Berichte ausgesucht. Darin berichte die Zeitzeugen, wie sie nach schlimmsten Erlebnissen am Ende des 2. Weltkrieges vor allem aber danach ihr Leben gemeistert haben, bzw. ihre Angehörigen es hingeben mussten. Die Berichte sind sorgsam aufgezeichnet. Sie zeigen damit, wie klar und sogar lebhaft in den letzten Erlebnisgenerationen die Erinnerungen an die Zeit der Bedrängnis und der Lebensentscheidungen um das Jahr 1945 noch vorhanden sind.
Die Berichte erweisen sich als hervorragend ausgesucht; denn sie illustrieren Geschehen aus der Geschichte der sudeten- und karpatendeutschen Heimat, die sonst in Zeitzeugenberichten kaum so eingehend dargestellt sind. Es seien nur einige genannt. Z.B. die Schilderung Anni Bostelmanns aus Teplitz, sich am 31.7.45 nicht nur aus der Elbe zu retten, sondern in den folgenden Monaten durch das zerstörte Deutschland durch die Zonen bis nach Hamburg zu gelangen. Fast unglaublich ist der Bericht von Anna Zavacka aus Hopgarten in der Zips, die im Feber 1945 erst in die Verschleppung nach Sibirien gezwungen wird, dann schon nach wenigen Monaten fast wie ein Wunder die Rückkehr in den Heimatort erleben darf, nur um dort dann zu erfahren, dass ihr noch die Vertreibung durch ein tschechisches Sonderkommando bevorsteht. Auch dagegen wehrt sie sich. Sie gehört zu den Zeitzeugen, die im Chaos dieser Tage die Heimat bewahrt. Besonders interessant ist der Bericht von Ingeborg Winkler aus Türmitz. Mit ihr wird in dem Buch eine der wenigen Stimmen hörbar, die nicht nur über ein Jahr Internierung in Aussig-Lerchenfeld überlebt hat, sondern die Ihre Erlebnisse auch zu Papier gebracht hat.
Ingeborg Winkler und Anna Zavacka sind die beiden Zeitzeuginnen aus dem Buch, die noch Leben und – wie eine Erkundigung bei den Herausgebern ergab – sich guter Gesundheit erfreuen. Sie können dennoch nicht bei der Vorstellung dieses einzigartigen Buches am Sudetendeutschen Tag in Nürnberg zugegen sein. Dort wird es nämlich laut Programm erstmals am Sonntag, den 15.5. um 15.30h im Messezentrum in Raum Cannes präsentiert. Das ist sicher eine gute Gelegenheit, das Buch kennenzulernen und u.U. günstig zu erwerben.
Das Buch ist nicht nur jedem zum Lesen zu empfehlen, weil auch der neue Erkenntnisse gewinnt, der meint, vieles zum Thema Vertreibung bereits zu wissen. Es lässt sich gut abschnittweise lesen, weil jeder Bericht eine abgeschlossene Geschichte bildet. Auch als Geschenk lässt es sich gut weitergeben; denn es zeigt besonders den Lesern, die solches selbst erlebt und bisher nichts schriftlich hinterlassen haben, wie man so etwas machen kann.
Franz Gissau, Seeon
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Wir haben überlebt - auch um Zeugnis abzulegen / Přežili jsme - také abychom podali svědectví, Dr. Hans Mirtes /Gerolf Fritsche (Hrgb.), AGSLE-Verlag Frontenhausen 2016, 230 Sn., ISBN 978-3-9815033-5-9, Zu beziehen im Buchhandel oder: Heimatkreis Mies-Pilsen e.V., Postfach 127, 91542 Dinkelsbühl, 09851-53003
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