Utl.: Britischer Unterhändler Sir Runciman berichtete über „kleinliche Intoleranz und Diskriminierung
Neben dem Schutz der sudetendeutschen Bevölkerung wurde das Freikorps von Canaris auch für die Aufklärung im Grenzgebiet genutzt. Das Oberkommando der Wehrmacht arbeitete aufgrund der sich abzeichnenden Krise vorsorglich schon ab Ende 1937 an einem Notfallplan zur Besetzung der Tschechoslowakei („Fall Grün“). Am 9. September 1938 wurde der Plan nochmals präzisiert. Er sah vor, mit fünf Armeen in den tschechischen Landesteil vorzurücken. Zwei Armeen sollten dabei mit einer Zangenbewegung, die sich bei Olmütz schließen sollte, die gegnerischen Truppen im tschechischen Landesteil einkesseln, während die drei weiteren Armeen diese dann zu vernichten hatten. Als Vorauskräfte waren 21 Sturmregimenter zum Durchbruch durch die tschechischen Befestigungsanlagen geplant. Die ganze Operation sollte blitzartig durchgeführt werden, ohne daß die tschechoslowakische Armee Gelegenheit bekäme, an der Grenze Widerstand zu leisten.
Doch die Deutschen wußten nicht, daß dem tschechoslowakischen Generalstab dieser Plan bekannt war. Der tschechoslowakische Geheimdienst verfügte über einen Top-Spion: den Mitarbeiter der nachrichtendienstlichen Abwehr Paul Thümmel. Dieser versorgte den tschechischen Generalstab regelmäßig mit den geheimsten Dokumenten der Wehrmacht.
Der britische Unterhändler Lord Sir Walter Runciman hatte indes in seinem Bericht vom 16. September die „kleinliche Intoleranz und Diskriminierung“ der Sudetendeutschen durch die Tschechen beklagt, die sich „unvermeidlich zu einer Empörung der deutschen Bevölkerung fortentwickeln“ müsse.
Aufklärung im Grenzgebiet
Bereits am 18. September hatte die Führung des Freikorps die operativen Prinzipien für die Aufgaben des Freikorps festgelegt. Schon in der Nacht vom 19. zum 20. September begannen die Aktionen des Freikorps. Im Verlaufe des 21. und 22. September gelang es dem Stab, die Aktionen des Freikorps besser zu koordinieren, auch das Meldesystem kam in Gang. Die beim Stab eingerichtete Fernschreibstelle meldete alle gewonnenen Informationen direkt an die Nachrichtenzentrale der Abwehr in Berlin. Die Originalfernschreiben liegen noch heute im Militärhistorischen Archiv in Prag. Das Freikorps berichtete der Abwehr mehrmals täglich z.B. über Truppenbewegungen der tschechoslowakischen Armee im Grenzgebiet und den Neubau von tschechoslowakischen Stellungen, die zur Ergänzung des Befestigungssystems angelegt wurden. Diese Meldungen gewannen an Bedeutung, nachdem am 26. September auch noch die Generalmobilmachung der tschechoslowakischen Armee befohlen worden war, was erneut eine Zuspitzung der Krise durch die Tschechen bedeutete.
Gleichzeitig mit der Mobilmachung wurde zudem ein vorbereiteter Plan für diverse Sperren umgesetzt, der eine echte Überraschung für die Wehrmacht war: Eine Vielzahl kleinerer Sperren, wie z.B. Baumsperren und Zerstörungen von Telefonleitungen wurde sofort realisiert, andere wiederum wurden so vorbereitet, daß man sie bei Bedarf kurzfristig realisieren konnte. Alle Elbbrücken, Elektrizitätswerke und Betriebe mit strategischer Bedeutung wurden zur Sprengung vorbereitet. Außerdem wurden 20.000 Sudetendeutsche kurzerhand als Geiseln genommen. Diese Maßnahmen setzte das tschechoslowakische Staatsschutzkorps, zusammengesetzt aus Sondereinheiten von Polizei, Gendarmerie und Armee, um.
Spätestens am 25. September wurde aus den Meldungen des Freikorps bereits ersichtlich, daß der Plan zum „Fall Grün“ modifiziert werden mußte, weil die tiefgestaffelte Verteidigung der Tschechen das Überraschungsmoment unwirksam machte.
Nach der tschechoslowakischen Generalmobilmachung am 26. September erhielt das Freikorps die Aufgabe, ortskundige Lotsen vorzubereiten, die gegebenenfalls die Truppen der Wehrmacht beim Einmarsch in das Sudetenland führen sollten.
Zu einem Krieg kam es letztlich nicht: In langwierigen Verhandlungen gelang es der deutschen Regierung, die Großmächte Frankreich, Großbritannien und Italien für eine friedliche diplomatische Lösung zu gewinnen, die am 30. September 1938 zum Münchner Abkommen führte. Nachdem die tschechoslowakische Regierung bereits am 21. September der Abtretung des Sudetenlandes in einer Erklärung zugestimmt hatte, regelte das Münchener Abkommen die Einzelheiten dieses Gebietswechsels. Dazu gehörte, daß deutsche Truppen vom 1. Bis 10. Oktober 1938 die abgetretenen Gebiete kampflos besetzten. Daran beteiligte sich auch das Sudetendeutsche Freikorps, das dazu dem Chef der Deutschen Ordnungspolizei, Kurt Daluege, als Hilfspolizei unterstellt wurde. Aus dem Bestand wurden Hundertschaften aufgestellt und auf die Polizeiabschnitte aufgeteilt, ehe das Korps als solches am 8. Oktober schließlich aufgelöst wurde.
Organisatorische Meisterleistung
Bis in die gegenwärtige Zeit nehmen tschechische Historiker das Freikorps gern als Beleg dafür, daß Hitler die Sudetendeutschen als fünfte Kolonne mißbraucht habe. Die Kämpfer selber werden als Kriegsverbrecher, Mörder und Plünderer beschimpft – Beweise liegen dafür nicht vor. Tschechische Partisanen hingegen werden als Helden verehrt, obwohl diese später besonders in den Mai-Tagen des Jahres 1945 zahlreiche Kriegsverbrechen begingen. Die Aufstellung des Sudetendeutschen Freikorps war eine organisatorische Meisterleistung, ist es doch gelungen, eine aktionsbereite Truppe in einer Stärke von 26.000 Mann in wenigen Tagen ins Leben zu rufen und in den Einsatz zu führen.
Dr. Helmut Dreese
Aus „Deutsche Militärzeitschrift“ Nr. 96/Nov. 2013
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Sudetendeutscher Pressedienst (SdP)
Österreich
18. August 2015
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