Am Freitag ist in der Volkszeitung ein merkwürdiger Kommentar über tschechisch-deutsche Beziehungen von Lubos Palata erschienen. Sein Untertitel lautet Die sudetendeutschen Landsmannschaft hat sich nach 20 Jahren von einer feindlichen Organisation zu einem annehmbaren Partner entwickelt.
Nach dieser Äußerung muss man davon ausgehen, dass hier eine Unterscheidung zwischen guten und schlechten Sudetendeutschen deutlich gemacht werden soll. Die Guten sind die in der SDL vereinigten Deutschen, die offensichtlich von L. Palata unterstützt werden und die Verwerflichen, diejenigen, die sich der frisch legalisierten Vereinigung angeschlossen haben.
Wie wird man ein musterhafter Sudetendeutscher, der auch Herrn Palata gefallen würde? Dazu muss man sich zunächst mit folgenden Theorien beschäftigen;
Die erste ist die Theorie der Ursache und der Folge (auch die der gerechten Vergeltung genannt). Die Vertreibung – als Zeichen eines Entgegenkommens werden auch wir sie nicht mehr „Aussiedlung“ nennen, so wie Herr Palata, – war ausschließlich die Folge der deutschen Gräueltaten und ist somit vollständig historisch, politisch und juristisch gerechtfertigt. Aber Wehe dem, der versucht die Theorie der Ursache und der Folge umgekehrt anzuwenden und mit der gleichen Logik behaupten würde, dass das Geschehen in Lidice die Folge des Attentates auf Heydrich sei oder dass die Verfolgung der tschechischen Bürger größtenteils die Folge der Verletzungen von Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Wirtschaft und der Versorgung (siehe Schwarzhandel) gewesen sei! Das würde sofort Alarm auslösen! Ich versuche keinesfalls das Protektoratsregime oder den Nationalsozialismus in Schutz zu nehmen, ich möchte lediglich bemerken, dass die Einweg-Betrachtung des Ursache-Folge-Prinzips heimtückisch sein kann.
Die zweite Theorie ist die des Exzesses. Die Vertreibung verlief grundsätzlich human, den Revolutionsgardisten rutschte nur ausnahmsweise die Hand aus. In einem schwachen Moment tun uns diese Exzesse leid und wir erlauben den Deutschen mit einer Gedenktafel an diese Vorfälle zu erinnern, wie z.B. an der Edvard-Benes-Brücke in Usti a.d. Elbe, aber sie sollte klein ausfallen. Keinesfalls würden wir so etwas Monströses wie das Denkmal in Lidice dulden, diese Dimension ist dem deutschen Unrecht an den Tschechen vorbehalten.
Die dritte und letzte Theorie ist die des dicken Striches unter der Vergangenheit. Wir sind bereit – in den Grenzen, die wir ihnen setzen – zu diskutieren, aber nur unter der Bedingung, dass die Vergangenheit als abgeschlossenes und unveränderbares Kapitel akzeptiert wird. Die Benesch-Dekrete sind nun mal ein Kind der damaligen Zeit und die vorgefallenen Ungerechtigkeiten kann man nicht mehr korrigieren, man kann sie nur, falls die Deutschen genug entgegenkommend sind, dezent und unadressiert erwähnen. Das Unrecht geschah irgendwie von selbst.
Wie der Palata - Artikel zeigt, gelingt es sogar einem Sudetendeutschen solche Prämissen zu akzeptieren. Einige haben sie in solchem Maße akzeptiert, dass sie sich dafür nach tschechischer Staatsordner den Rang eines musterhaften Sudetendeutschen der ersten und zweiten Klasse verdient gemacht haben, als Gegenpol zum Sankt-Wenzels-Adler aus dem Protektorat. Zweitklassige Deutsche sind solche, die wegen der Benesch-Dekrete doch noch ab und zu mehr oder weniger öffentlich murren, wie z.B. Bernd Posselt oder Peter Barton. Die erste Klasse ist nur den Deutschen vorbehalten, deren Meinung nicht mehr von der eines durchschnittlichen Tschechen abweicht. Sie würden die Auszeichnung eines voll versöhnten und assimilierten Deutschen erhalten.
Es ist kein Wunder, dass unsere Vereinigung wie ein Fremdkörper in diese Idylle eindringt, dass Tumult entsteht, weil ein großer Teil der öffentlichen Meinung zur Seite gedrängt wird und somit der Wunsch nach Ausschluss und Verboten laut wird. Es ist auch kein Wunder, dass in der ersten Reihe der Antisympathisanten die Musterdeutschen aus der SdL stehen, die befürchten, dass man ihnen ins Geschäft pfuschen und sie um ihr leicht verdientes Geld bringen könnte.
Die Frage ist doch, ob es für die Sudetendeutsche hilfreich ist, sich von jemandem vertreten zu lassen, der in der Sache der Versöhnung die gleiche Wellenlänge wie die tschechische Regierung hat und nach über 60-jähriger Tätigkeit keinen wirklichen Erfolg vorweisen kann. Die Leitung der SdL ist in ihrem Entgegenkommen so weit gegangen, dass sie heute keine Ansprüche mehr gegenüber den Tschechen geltend machen kann, somit die Chance auf Durchsetzung ihrer Interessen vertan hat und die Position eines ernst zu nehmenden Verhandlungspartner für die tschechischen Staatsorgane verloren hat.
Wir sind hingegen der Auffassung, dass dieses Entgegenkommen fehl am Platz war und sogar die Tschechen selbst diskreditiert. Es gibt keine Rechtfertigung für die Vertreibung der Sudetendeutschen. Die Benesch-Dekrete sind eine Schandfleck in der tschechischen Rechtsordnung. Es ist doch pervers die Versöhnung so zu verstehen: wir verzeihen ihnen sie vertrieben und bestohlen zu haben. Es ist notwendig auch in die Zukunft zu schauen und zur Abmilderung der Folgen der Genozide an den Sudetendeutschen unsere eigene Schuld zu erkennen, welche wir begleichen müssen, um uns nicht vor unseren Kindern und Enkeln schämen zu müssen.
Oder wollen wir ihnen erklären, zweieinhalb Millionen Menschen, nur ihrer ethnischen Herkunft wegen, vertrieben, ihr Hab und Gut weggenommen zu haben ohne individuellen Schuldnachweis (und nebenbei zig-tausende von ihnen ermordet zu haben) sei kein Verbrechen? Dies werden sie uns nie glauben, dies glauben nicht einmal wir selber. Es klingt in uns die kommunistische Indoktrination nach, die wir nach zwanzig Jahren Freiheit immer noch nicht losgeworden sind.
Das Problem liegt nicht bei den Deutschen. Es ist unser Problem und wir sollten die Sudetendeutschen als Partner verstehen, die uns mit deren Lösung behilflich werden können.
Tomáš Pecina 3.4.2011
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